Von 1926 bis 1934 war Paul Weitbrecht ...

... Pfarrer in Neckargartach. Diese Zeit war insbesondere von der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 und der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 geprägt.

Auf beide Herausforderungen suchte Pfarrer Weitbrecht (geb. 25.08.1887; verst. 06.02.1968) eine Antwort, indem bereits 1927 unter seiner Leitung das erste evangelische Gemeindehaus in Neckargartach in der Biberacher Str. 16 gebaut wurde und indem er sich 1930 der Sozialdemokratischen Partei anschloss.

 

Insbesondere sein Eintreten für die SPD brachte ihm schon bald Anfeindungen und Beschwerden beim evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart ein.

 

Weitbrecht trat im Februar 1930 der SPD bei, weil er die Belange der Arbeiter auch politisch unterstützen wollte. Das wurde von manchen scharf kritisiert, weil sie die SPD als antichristlich einstuften.

Einer aus der Gemeinde beschwerte sich am 21. März beim Oberkirchenrat und schickte einen Zeitungsartikel aus dem Neckar-Echo vom 19. März mit, der von einem Vortrag berichtet.  Weitbrecht hat in diesem öffentlichen Vortrag seine Haltung begründet und die Position der „Religiösen Sozialisten“ gut dargestellt.

 

Zur Kirchenwahl im Jahr 1931 hat er für die „Religiösen Sozialisten“ sehr viele Stimmen gewonnen. Offenbar war also in der Gemeinde seine Haltung durchaus geschätzt.

 

Die Abberufung aus Neckargartach

Über seinen geplanten Eintritt in die SPD informierte Pfarrer Weitbrecht vorher weder offiziell die Kirchenleitung noch den Neckargartacher Kirchengemeinderat  von diesem folgenreichen Schritt.

Dies führte zu Problemen in Bezug auf die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit.  Die prekäre Situation und inzwischen angespannte Lage im Ort und in der Kirchenleitung sowie der damit konfrontierten Institutionen läßt sich aus Schriftstücken des Jahres 1933 gut erkennen:

 

Aus dem Verhandlungsbuch des Kirchengemeinderats in Neckargartach (XI,7):

Verhandelt den 16. März 1933:

 

§ 3 Austritt aus der Partei?

 

Pfarrer Weitbrecht teilt mit, dass er in einem Schreiben aufgefordert worden sei, sein Amt niederzulegen, da er als SPD-Mitglied nicht mehr Pfarrer bleiben könne. Er erwähnt Zeitungsberichte, „dass Pfarrer Schenkel in Zuffenhausen auf Wunsch seines KGRs aus der SPD ausgetreten sei und sich aus der Politik zurückgezogen habe. Er sei auf diesen Bericht hin beim Dekanatamt gewesen und hätte ihm mitgeteilt, dass er in der jetzigen Zeit eher sein Amt niederlege als dass er aus der Partei der SPD austrete, da er das in diesem Augenblick als Verrat an der Sache der rel. Sozialisten ansehe. Der Dekan habe ihm hierauf gesagt, dass er es für unmöglich halte, dass ein solches Ansinnen vom OKR an ihn, den Vorsitzenden, gestellt würde. Der Vors. weiß, dass vom hiesigen KGR ein solches Ansinnen an ihn nicht gestellt würde.“

 

§ 4 KGR und Partei. KGR Lang stellt seinen Platz zur Verfügung

 

KGR Lang hat sich der nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen und stellt deshalb seinen Sitz, den er auf der Liste der rel. Sozialisten gewonnen hat, zur Verfügung.

„Der Vors. tritt zunächst dafür ein, dass KGR Lang auch künftig als Nationalsozialist dem KGR angehören solle. Denn gerade wir in der Kirche und besonders im KGR müssen es im leidenschaftlichen Kampf der Gegenwart zeigen, dass wir als Christen über den Parteien zu stehen ... vermögen. 

… auf der einen  Seite stehen sie als nationalsozialistische Bürger? ... treu zu Hitler und seinem Wort, auf der anderen Seite als ev. Christen zum LB (Landesbischof) Wurm. Der Vors erklärt, dass auch er zu seinem Teil und mit ihm fast alle Pfarrer des Heilbronner Bezirks mit einer Ausnahme so stehe und alle Folgerungen auf sich nehme. Die gewaltsame … Art, wie die Leitung der DC (Deutschen Christen) gegen Wurm vorgegangen sei und ... gegen die andersdenkenden Leute der Kirche ..., sei nicht im Geist Jesu Christi und müsse von ihm abgelehnt werden.

Der KGR ist der Ansicht, dass die Gemeinde über die Lage der Kirche aufgeklärt werden müssse, da dem LB der Weg über die Presse verboten sei. Der Vors. wird sich an Stadtpfarrer Zeller in Zuffenhausen, der bis vor kurzem bei den DC war, mit der Bitte um einen Vortrag wenden. (Er konnte nicht kommen.)

Die Partei kann keinen solchen Pfarrer dulden!

Der Angriff auf Pfarrer Weitbrecht durch den Ortsgruppenleiter Leiensetter                                              

 

05.09.1933

Ortsgruppenleiter Leiensetter des NSDAP-Stützpunkts Neckargartach  wendet sich mit einer Beschwerde an den Oberkirchenrat, in der er schreibt, es „..ist eine Beseitigung auch des letzten Restes marxistischer Herrlichkeit und eine Besetzung der  Pfarrstelle mit einem Geistlichen, der das Vertrauen der nationalen Bevölkerung genießt, eine unbedingte Notwendigkeit.“

 

07.09. Antwort des Evangelischen Oberkirchenrats in Stuttgart

Wir teilen Ihnen mit, daß Herr Pfarrer Weitbrecht selbst die Absicht hat, sich demnächst von dort wegzumelden. Damit erübrigen sich weitere Maßnahmen.

 

15.09. zweites Schreiben des NSDAP Stützpunkts Neckargartach verlangt „eine sofortige Umbesetzung“.

Gleichzeitig leitet Leiensetter die Antwort des OKR an die Kreisleitung weiter, die analog verlangt: "dass sie alle Schritte unternehmen, um einen solchen Schädling ein für allemale unmöglich zu machen"     

Reaktionen des Oberkirchenrats

Auf der Beschwerde der Kreisleitung an den Oberkirchenrat gegen Pfarrer Weitbrecht als „unmöglichen Vertreter der evangelischen Kirche“  finden sich folgende handschriftliche Notizen der Referenten:

 

1) unten, über dem Eingangsstempel:

B. den16. Sept. 33

Herrn OKR Pressel

es scheint mir mündliche Besprechung mit den betr. Instanzen nötig zu sein.      ML (Prälat Mayer-List)

 

2) unten rechts    

B. den 12. X.

Herrn Prälat Mayer-List

Eine Versetzung scheint mir dringend und rasch notwendig. Am besten wäre Weitbrecht persönlich zu zitieren. Bei Versetzung wäre dann eine persönliche Besprechung mit dem Kreisleiter von Heilbronn und dem Ortsgruppenleiter nötig, damit diese ihm in seiner neuen Gemeinde keine Schwierigkeiten machen.                  Pressel


3) oben und links vom Text:

B. den 13. Okt. 33
Weitbrecht war heute bei dem Unterzeichnenden. Er hat sich um Untertürkheim III gemeldet, ist aber noch nicht sicher, ob er die Meldung aufrecht hält, da er finanziell durch Versetzung von Gr. II in I sich verschlechtert. Er wird sich aber auf alle Fälle weiter melden und zunächst sich mit dem Stützpunktleiter zu verständigen suchen.       ML

 

 

Pfarrer Weitbrecht versuchte – wie angekündigt – „sich mit dem Stützpunktleiter zu verständigen.“

Danach schrieb er am 17. Oktober 1933 an den Oberkirchenrat:

 

„Ich habe mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP Neckargartach, Herrn Leiensetter, wegen meiner Eingabe Rücksprache genommen. Er sagte, er denke heute anders über meine Person und Wirksamkeit als damals, wo er mich persönlich gar nicht gekannt hätte. Ob ich von Neckargartach fort wolle oder bleiben, stehe bei mir und meiner Behörde. Er wolle mich nicht fort haben.“

 

Am 18. Juni 1934 hat sich Pfarrer Weitbrecht

um die Stelle in Geislingen- Altenstadt beworben.

Er wurde – wie die Eintragung sagt:

Ernannt am 26. Juli 1934

 

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Die zitierten Texte wurden durch Martin Uwe Schmidt und Martin Diebold zur Verfügung gestellt und sind den Ausstellungstafeln der Ausstellung "Kreuz und Hakenkreuz" von 2008 entnommen.

 

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Nachwehen im Jahre 1936/37

Nach der Abberufung von Pfr. Weitbrecht wurde der junge Amtsverweser Albrecht Schink in unserer Gemeinde eingesetzt. Zwei Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit wurde er 1936 gefragt, ob er dauerhaft als Pfarrer in Neckargartach tätig sein will.

Im Zusammenhang mit der Stellenbesetzung Schinks kam der Vorwurf auf, Pfr. Weitbrecht würde gegen die Berufung Schinks opponieren. Eine fast 1,5jährige Kontroverse schloss sich an, an deren Ende durch den Evang. Oberkirchenrat in Stuttgart festgestellt wurde, dass es unklar sei, ob Pfr. Weitbrecht Einfluss auf die Pfarrstellenbesetzung genommen habe.

 

Sie finden hier einen Artikel zu den Unruhen anlässlich der Stellenneubesetzung im Jahre 1936 [245kB]